Der Wendepunkt

Wir schreiben das Jahr 2008, es ist nun fünf Jahre her, dass Chris Moneymaker in der Hauptveranstaltung der „World Series of Poker“ (WSOP) seinen unglaublichen Sieg davon trug. Nun blicken wird zurück auf das Blatt, welches am meisten zu seinem Triumpf und der darauffolgenden Pokerexplosion beigetragen hat.

Können Sie sich noch an die Zeit erinnern, wo noch niemand wusste, wer Doyle Brunson ist? Erinnern Sie sich daran, dass früher niemand von Razz gehört hatte? Hold’em? Und Sie noch keinen einzigen Spieler persönlich kannte, der durchs Pokerspielen Geld verdienen konnte? Für die meisten liegt diese Zeit dieses Jahr genau fünf Jahre zurück.

Anfang des Jahres 2003 war Poker eben nur Poker und es wurde nach dem Familienabendessen mit Pfennigen gespielt. Aber heute scheint es, als wäre Poker immer schon ein Nationalspiel gewesen, welches fast schon ein internationaler Sport ist. Jetzt wissen sogar schon die meisten kirchlichen Würdenträger was Texas Hold’em ist.

Aber es sind erst fünf Jahre seit dem vergangen. Es stimmt, dass die Leute schon seit Dekaden pokern (und dass sogar bei ESPN). Und ja, Doyle Brunson war schon 1970 ein Pokermillionär. Doch erst seit fünf Jahren kann man in einem Kramerladen ständig den „River“ erwähnen, ohne dass andere denken man spricht über Rafting.

Die WSOP 2008 ist auch zugleich das fünfjährige Jubiläum von dem sagenhaften Sieg von Chris Moneymaker bei der WSOP 2003. Es scheint heutzutage töricht sich eine Welt vorzustellen, in der Chris Moneymaker der berühmteste Pokerspieler ist, doch vor fünf Jahren war das eben so.

Um den Start der WSOP 2008 am 30. Mai zu ehren, möchte ich dieses so berühmte Entscheidungsblatt der Hauptveranstaltung der WSOP 2003 neu aufleben lassen. Vermutlich handelt es sich dabei um das bekannteste Blatt der jüngsten Pokergeschichte, das jemals gespielt wurde. Ohne dieses Blatt hätte Chris Moneymaker sein „heads-up“ Match gegen den grauhaarigen Pokerprofi Sammy Farha vermutlich verloren.

Im Grunde schien das Ganze von Anfang an sehr unwahrscheinlich. Johnny Chan am Flop zu schlagen, durch eine zufällige passende Karte, und ihn rausfliegen zu lassen ist eine Sache, genauso wie beim ultra-aggressiven Dutch Boyd mit einem Paar aus zwei Dreien mitzugehen, doch es ist was ganz anderen einen Pokerprofi „heads-up“ zu schlagen. Und nicht nur irgendeinen Profi, sondern gegen den High-Stakes Superstar Sammy Farah. Immerhin geht es ja um ein Match von einem Bilanzbuchhalter, der noch nie mehr als 50.000$ im Jahr verdient hat, gegen einen der schon in der vorhergehenden Woche zwanzig Wetten gemacht hat, die höher waren als das Jahreseinkommen des anderen. Das ist wie eine Maus gegen einen Adler.

Über das Blatt:

Sammy ist als in der Small-Blind Position (SBP) und hat auch weniger Chips. Moneymaker hat nur um ein paar hunderttausend Chips mehr, vielleicht um eine Million. Es gibt im Gesamten 8,4 Millionen Chips im Spiel, nur damit man sich was vorstellen kann.

Da die beiden heads-up spielen, kann Moneymaker zuerst setzen, preflop, selbst wo er der Kartengeber ist. Er setzt 100.000$ und hat als Blatt 7 Herz und K Pik . Farha geht mit, mit 9 Herz und D Pik. Also gehen die beiden in den Flop, Moneymaker mit Kp 7h und Farha mit Dp 9h. Es sind 200.000$ im Pot.

Der Flop fällt so aus: 9p 2k 6p. In diesem Moment hat Farha das Top-Paar (9h 9p) und beide Spieler haben noch die Möglichkeit ein Pik-Flush zu ziehen. Farha passt. Vermutlich weil er hoffe so aus Moneymaker eine weitere Wetterhöhung zu entlocken, um dann mit seinem Top-Paar mehr abzusahnen. Ein sinnvoller Spielzug bei einem heads-up Match preflop. Doch Moneymaker geht sofort mit ohne zu erhöhen, was Farhas Pläne für eine weitere Erhöhung zunichte macht.

Nun taucht eine Frage auf: Geht M. beim Flop mit, um später in der Runde ein Manöver zu starten, oder versucht er einfach nur eine weitere Karte zu sehen? Die meisten Profis hätten hier eine „Continuation Bet“ (erneute Erhöhung) gemacht, doch M. ist ja dafür bekannt kein Profi zu sein. Klar, wenn dann aber ein gewitzter aggressiver Spieler wie Sammy Farha beim Flop „heads-up“ mitgeht, dann wird das einem scharfsinnigen Spieler als verdächtig erscheinen. Hat M. das auch wirklich erkannt, oder hat er einfach die Nerven verloren und nur noch auf eine weitere Karte gehofft? Vermutlich spielt das keine Rolle mehr. Trotzdem scheint dabei irgendetwas poetisch zu sein, wenn das vermutlich berühmteste Blatt der gesamten Pokergeschichte total falsch gespielt wurde, und zwar von dem Mann, der sich Moneymaker nennt.

Als „Turn“ kommt die 8 Pik und somit ist der Flop folgender: 9p 2k 6p 8p. Farha hat noch immer das Top-Paar, doch nun haben beide Spieler fast ein Pik-Flush und M. würde das höhere Flush haben, da er den Pik-König hat. Nebenbei hat M. auch noch fast eine Straße. Farha sagt nichts und zählt aus seinen Chips 300.000$ heraus und erhöht. M. zögert 5 Sekunden, blickt dann auf seine Chips hinunter, nimmt eine Stapel von ungefähr einer Million, blickt auf und flüstert fast: „Ich erhöhe“.

M. ist gerade dabei die 300.000$ aus der Wette heraus zu zählen und der Ansager, welcher nicht gehört hatte, dass M. „ich erhöhe“ gesagt hatte, gibt fälschlicherweise bekannt: „Moneymaker geht mit“. Der zukünftige Champion blickt von seiner Wette auf, die er gerade begann zu zählen und sagt erneut, diesmal bestimmter: „Nein, ich erhöhe um 5 weitere“.

Und so setzt er 500.000$ weitere Chips, eine Erhöhung mit ungefähr 6% der gesamten Chips im Spiel. In 3 Sekunden, ohne auch nur irgendwas zu sagen, geht F. mit. 1,8 Mio. $ sind im Pot vor dem River. M. benötigt entweder eine Z oder 5, um eine Straße zu bekommen, oder eine weitere Pik-Karte für ein Flush. Farah lacht und sagt noch: „Wir habe ja gesagt, es wird bald vorbei sein.“

Und am River kommt 3h. Der Flop ist nun: 9p 2k 6p 8p 3h. Farah hat noch immer das Top-Paar, also das bessere Blatt, während M. absolut gar nichts hat.

F. passt ein weites Mal, diesmal saugt er seine Unterlippe in den Mund und klopft mit seinem Mittelfinger auf den Tisch. Moneymaker blickt kurz auf seine Chips und sagt dann mit einem kurzen Wink seiner rechten Hand: „Ich gehe all-in“. Die ungefähr 200 Zuseher beginnen zu jubeln.

Wenn F. jetzt mitgehen würde, dann wäre auch er all-in. Er lehnt sich zurück und riffelt seine Chips mit der rechten Hand, überlegt einen Moment und sagt dann: „Du hast wohl Dein Flush verpasst, oder?“ Der Bilanzbuchhalter scheint wie versteinert zu sein.

F. fährt fort: „Könnte verrückterweise mitgehen. Vielleicht habe ich ja das beste Blatt.“ Moneymaker rührt sich noch immer nicht. Danach bewegt F. seinen Kopf leicht und wirft seinen Karten in den Muck, gibt also auf. Zum ersten Mal seit zwei Minuten atmet M. wieder aus, er hat nun einen Vorteil von 2 : 1 was Chips-Stack betrifft.

Farha ist ein besserer Pokerspieler als Moneymaker, denn er ist ein weltbekannter High-Stakes Spieler (vielleicht sogar der beste der Welt) und hat M. bei einer Revanche, die vier Monate später von PokerStars organisiert wurde, haushoch geschlagen. Bei Farah handelt es sich um einen Poker-Superstar, während Moneymaker in anderen Turnieren ein paar Erfolge verzeichnet hatte und nur kurz aufgeblitzt hatte.

Doch Chris Moneymaker, der Mann, der über ein 40$ Satelliten-Qualifizierungsturnier 2,5 Mio. $ gewann, war genau der Moment, auf den die Pokergemeinde gewartet hatte. Sein ja-so-angemessener Name und sein Gesicht waren überall zu sehen: Von Fernseheinschaltungen bis hin zu Werbeplakaten. Er war die neue Beschwörung für den „amerikanischen Traum“: Der Buchhalter und Amateurspieler, der es auf die Spitze des Spiels geschafft hatte, eines Spiels, dass jedermann spielen kann.

Die Wachstumsrate daraufhin war exponentiell. Schon im Folgejahr gab es eine explosiven Anstieg der Anmeldungen zu der 10.000$ Hauptveranstaltung. Waren es im Jahre 2003 gerade mal 631 Spieler, so waren es 2004 gleich 2576. Online-Unternehmen schossen wie Pilze aus dem Boden, und die bereits existierenden Firmen führten das Ganze an, was schon bald zu einer Multi-Billionen Dollar Branche wurde. Pokerspieler wurden plötzlich zu Prominenten und sogar einige Prominente wurden Pokerspieler. Weltweit begannen Millionen an Menschen online Poker zu spielen und 2006 meldeten sich stolze 8773 Spieler für die WSOP-Hauptveranstaltung an, wodurch ein Hauptpreis von unglaublichen 12 Mio. $ zustande kam. Mittlerweile kann man rund um die Uhr im Fernsehen irgendeine Pokershow sehen und meistens sogar mehr als eine Show gleichzeitig. Mehr als jemals zuvor in der Geschichte ist „Pokerspieler“ eine realistische Karriere. Poker ist mittlerweile riesig!

Und alles geht auf dieses Blatt zurück.